Montag, 19. Juli 2010

Interview mit dem Grafen



K.J.S.: Darf ich Dir ein paar hoch brisante Fragen stellen, oder bin ich dir nicht blau genug?

GRAF: Gott bewahre. Ich mache da keine Unterschiede. Mein Vorfahre, Graf Ulrich der Vielgeliebte, sagte einmal so treffend: Adel sitzt im Gemüte - nicht im Geblüte.

K.J.S.: Ich kenne dich nun schon seit acht Jahren. Du siehst als Graf plötzlich 16 Jahre jünger aus als 2002. Allein deshalb hat es sich schon gelohnt, adelig zu werden, oder?

GRAF: Ich habe es bis heute noch nie bereut. Ich habe ja tatsächlich adelige Vorfahren. Diese Gene schlummerten wohl seit Jahrzehnten in mir. Und jetzt, wo ich es ausleben kann, bin ich glücklich. Und glückliche Menschen sehen immer jünger aus, als sie in Wirklichkeit sind. Hinzu kommt, dass ich mich jetzt anders kleide (siehe auch in meinem Buch auf Seite 16). Wenn man sich nur in den klassischen Geriatriefarben wie beige, grau, schlamm und uringelb kleidet, muss man sich nicht wundern, dass man aussieht wie der große Bruder von Johannes Heesters.

K.J.S.: Hättest du damit gerechnet, dass dein hinreißendes Buch Werden Sie doch einfach Graf! leichsam Fan-Gemeinden gebärt, die dir über ungezählte Kilometer hinweg zu Lesungen folgen?

GRAF: Nein, nicht im geringsten. Ich werde überall gebührend empfangen, und meine Fangemeinde wächst täglich. Es gibt Fans, die meine Comedy-Lesungen schon mehrmals hintereinander besucht haben. Da freue ich mich sehr drüber. Dass ich einmal im legendären SO36 in Kreuzberg vor über 250 Zuhörern aus meinem Buch vorlese, hätte ich nie gedacht. Außerdem lerne ich Städte kennen, wo ich noch niemals war und wohl nie hingekommen wäre. Im SO36 habe ich übrigens einen lustigen Klospruch gelesen: Hier starb mein Sohn, neun Monate bevor er geboren wurde, in einem wilden Handgemenge.

K.J.S.: Wie geht's deinen Begleit-Geniestreichen wie etwa dem Duftwasser Blaues Blut?

GRAF: Mit dieser Frage rennst du mir offene Drehtüren ein. Also, den Duft Blaues Blut habe ich auf meinem Sommersitz Gut Dünken entwickelt. Das Parfüm zum Buch. Der klassische Duft für Damen und Herren nach einem alten traditionellen Parfümrezept der Grafen von Blickensdorf, seit dem 19. Jahrhundert unverändert – jetzt habe ich ihn wieder frisch aufgelegt. Ich habe allerdings total unterschätzt, dass die Parfümherstellung so aufwändig ist. Aber mit Hilfe einer guten Freundin, übrigens auch eine Gräfin, habe ich ein ganz passables Parfüm hin bekommen, das sich durchaus mit den großen Düften dieser Welt messen kann. Erhältlich ist dieser Wohlgeruch in meinem Adels-Shop:

http://blauesblut.bigcartel.com/product/parf%C3%BCm-blaues-blut

Dort gibt es auch einen königlichen Bleistift, ein Adels-Ratzefummel und eine Gräfliche Fahrradklingel, die ich auch persönlich an meinem alten Miele-Fahrrad, das ich zuweilen auch liebevoll  ITS (Ich Trete Selbst) nenne, benutze. Diese formschöne Klingel wird in einer kleinen traditionsreichen Klingelfabrik nahe der holländischen Grenze hergestellt. Ich konnte exklusiv eine kleine Stückzahl für meinen Adels-Shop ergattern. Um die Langlebigkeit dieser Klingel zu garantieren, solltest du allerdings deinem Kammerherrn auftragen, die Mechanik einmal jährlich mit einem Tropfen guten Öls zu versehen.

K.J.S.: Ich habe eine Kammer-Frau(!). Ganz unter uns: Du kannst mir doch nicht erzählen, dass die Heerscharen von Damen jeglicher Provenienz, die dich als Graf jetzt unentwegt in Versuchung führen, spurlos an deinem Schlafrhythmus etc. vorüber gehen...

GRAF: Diese Frage passt nicht zu meiner Antwort. Ich bevorzuge nach wie vor mein Schlafzimmer, dass ich zumeist Kathedrale des Erotischen Elends nenne, weil ich schon an meinem zweiten Buch arbeite. Die Versuchung ist allerdings sehr groß. Aber der Kavalier genießt und schweigt...

K.J.S.: Und jetzt spielst du auch noch in Werbefilmen mit?

GRAF: Das ist richtig. Und zwar für Wulle-Bier.

K.J.S.: Wulle-Bier? Ist das ein Witz?

GRAF: Nein, das Bier gibt es wirklich. Es kommt aus einer kleinen Stuttgarter Brauerei und wird jetzt hier in den Berliner Scene-Clubs langsam zum richtigen Szene-Kult-Getränk. Wahrscheinlich weil sich das Wort "Wulle" sehr berlinerisch anhört. Schon Sam The Sham and the Pharaos sangen damals 1965 Wulle Wulle (hihi, kleiner Witz). Da war ich 14 und im Internat. Der geniale Regisseur Oliver Kyr hat mit seinem Team eine schöne kleine skurrile Reihe gedreht: Der Graf und sein Töchterlein. Meine Tochter spielt übrigens die wunderbare Schauspielerin Nike Martens.

K.J.S.: Bei einer deiner letzten Lesungen hast du nebenbei ein Schwert verschluckt. Verändert der Adel auch die Essgewohnheiten?

GRAF: Absolut! Ich habe ja in mein Programm kleine Zaubertricks und akrobatische Übungen eingebettet. Und inspiriert durch die Einladung der Ritterbruderschaft Edler Namen bin ich auf das Schwert gekommen, mit dem schon meine Vorfahren in die Kreuzzüge gezogen sind. Ich verschlucke es bis zum Griff. Deshalb darf ich an dem Tag nichts essen, sonst ziehe ich nämlich einen gespickten Schaschlik-Spieß wieder heraus. Und das möchte ich den Zuschauern nicht zumuten. Wichtig ist, dass das Schwert immer schön scharf ist, denn sonst verderbe ich mir bei der Nummer den Magen. Ich habe dadurch sehr abgenommen. Egal, Adel verpflichtet.

K.J.S.: Du hast auch im Yorckschlösschen gelesen. Das machte den Eindruck eines gefeierten Heimspiels...

GRAF: Das war es auch. An diesen Abend denke ich immer noch gerne zurück. Eine glückliche Fügung wollte es, dass die großartige Jazzsängerin Nina Ernst live (!) das von ihr extra für mich komponierte und getextete Lied  Achtung, der Graf kommt! sang und es dadurch ein fulminanter Abend wurde. Sehr viel dazu beigetragen haben auch der Chef vom Yorckschlösschen und sein Team, denen ich an dieser Stelle meinen Gräflichen Dank aussprechen möchte. Das legendäre Yorckschlösschen findet übrigens auch in meinem Buch löbliche Erwähnung.

K.J.S.: Woran liegt es, dass Symptome wie Orientierungslosigkeit, allgemeine Flugangst, Ess- und Trinkstörungen oder auch frühzeitiges jähes Altern speziell bei Menschen diagnostiziert werden, die noch nie im Yorckschlösschen waren oder einfach zu selten dort hin gehen?

GRAF: Weil das Yorckschlösschen ein magischer Ort ist. Ich liebe besonders den Yorckschlösschen-Biergarten über alles. Wenn es meine knapp bemessene Zeit erlaubt, gehe ich dort immer hin. Es gibt nichts Schöneres, als in einer lauen Sommernacht dort ein leckeres Bier zu trinken, sich eine schmackhafte, hausgemachte Rindsroulade (schön mit Rotkohl) zu Gemüte zu führen und den eiligen Schritten der hübschen Kellnerin im weißen Kies zu lauschen. Dann könnte ich ausrufen: Oh Augenblick, verweile, du bist so schön!

K.J.S.: Was möchtest du noch los werden, bevor ich dir für dieses aufschlussreiche Gespräch vielmals danke?

GRAF: Liebe Leute, kauft alle mein Buch. Damit tut ihr Gutes. Denn der Reinerlös ist für einen guten Zweck - nämlich für mich!

K.J.S.: Ich danke dir für dieses aufschlussreiche Gespräch vielmals!

GRAF: Ganz meinerseits, bis danzig...

(Das Interview führte Karl Johannes Schindler)

Freitag, 16. Juli 2010

Die Volksunterhose

Als kleine Ergänzung zu meinem Buch hier ein Brief, der aus terminlichen Gründen leider nicht gedruckt werden konnte:

An die unter Insolvenzverwaltung stehende Schiesser AG:
Betr.: Geschäftsidee
Sehr geehrte Damen und Herren! 
Aus der Tagespresse erfuhr ich mit Schrecken, dass es Ihrem Unternehmen sehr schlecht geht. Da unsere ganze Familie männlicherseits traditionell ausschließlich Schiesser-Unterwäsche (Doppelripp mit Eingriff) trug und immer noch trägt, wäre es sehr schade, wenn so eine althergebrachte Firma vom Markt verschwinden würde. Deshalb möchte ich Ihnen vorschlagen, eine neu entwickelte Unterhose herauszubringen, die von der Bevölkerung in Massen gekauft wird. Eine so genannte „Volksunterhose“. Dafür würde ich Ihnen sogar meinen Namen zur Verfügung stellen („Graf Blickensdorf Underware“). Und unser Familienwappen könnte quasi an der Stelle prangen, hinter der sich die Männlichkeit verbirgt. Sie wissen schon was ich meine („zwinker, zwinker“).
Es ist ja bekannt, dass sich Produkte mit Adelsnamen sehr gut verkaufen und bei den Kunden Vertrauen hervorruft. Als Beispiel nenne ich nur „Fürst Metternich Sekt“, Graf Lambsdorff (trotz Vorstrafe!) von der FDP, Steffi Graf (nein, kleiner Scherz) und Graf Zeppelin.
Alles weitere würde ich gerne mit Ihnen in einem persönlichen Gespräch besprechen und verbleibe
Hochachtungsvoll
Lo Graf von Blickensdorf

Und hier die Antwort vom 20. März 2009:

Sehr geehrter Herr Graf von Blickensdorf, 
vielen Dank für Ihr Schreiben vom 17. Februar 2009.
Wir freuen uns sehr über die Welle der Sympathiebekundungen, die unserem Unternehmen und der Marke Schiesser in den letzten Wochen entgegengebracht wurde; sind sie doch Zeichen und Ausdruck dafür, dass Schiesser als feste Größe in der Wäschebranche nicht vom deutschen Markt wegzudenken ist.
Vielen Dank für Ihr Angebot, uns Ihr Familienwappen zur Vermarktung unserer Produkte zur Verfügung zu stellen. Wir freuen uns natürlich sehr über ideenreiche Anregungen und Vorschläge zur Unterstützung der Marke Schiesser. Momentan sehen wir leider keine Einsatzmöglichkeiten für Ihr Wappen. Wir werden die Idee jedoch im Auge behalten und bei Bedarf gerne wieder auf Ihr freundliches Angebot zurückkommen.
Mit freundlichen Grüßen
S C H I E S S E R   A G
Sprecher des Vorstandes
Rudolf B.

Montag, 12. Juli 2010

Schloss Blickensdorf


Erste Erwähnung fand Schloss Blickensdorf am 1. August 1776 in einer Urkunde, als mit der ersten polnischen Teilung das Herzogtum Pomerellen an das Königreich Preußen fiel, wo es Teil der Provinz Westpreußen wurde, auch Polnischer Korridor genannt. Traditionell war das Gebiet ethnisch gemischt besiedelt: Hier wohnten Deutsche, Polen und Kaschuben.
Der Gründer des Schlosses war Graf Bernhard der Erste, der aus dem Flecken Blickensdorf bei Baar in der Schweiz stammte. Als es zunehmend zu Repressalien gegen die Protestanten kam, verließ er die Schweiz und ließ sich im Herzogtum Pomerellen nieder und errichtete auf den Grundmauern einer verlassenen Slavenburg das Schloss. 
Auf Schloss Blickensdorf wurde das Theaterspiel sehr geschätzt. Zu diesem Zweck wurde von Graf Ulrich dem Vielgeliebten ein Nebengebäude als Hoftheater errichtet. Da sich seinerzeit die Aristokratie nicht gerne wusch, aber die Theateraufführungen wegen der starken Körperausdünstungen nicht auszuhalten waren, erfand Graf Ulrich der Vielgeliebte ein Parfüm namens „Blaues Blut“, das ein Nachfahre heute wieder nach altem Rezept herstellt.
Auch soll es auf Schloss Blickensdorf gespukt haben. Das kam so: Graf Gisebrecht der Schöne hatte einen Hang zum Personal. Und als eines Tages die schöne Gärtnerstochter Bärbel von ihm schwanger war, gab ihr heimlich seine eifersüchtige Frau, die Gräfin Josepha, Gift. Als die schöne Bärbel daraufhin von der Dienerschaft tot in der Orangerie gefunden wurde, heuchelte Gräfin Josepha Trauer und sorgte für eine prunkvolle Beerdigung in der Familiengruft. Genau auf den Tag ein Jahr später wurde Gräfin Josepha exakt an der selben Stelle in der Orangerie, an der die Gärtnerstochter lag, unter mysteriösen Umständen tot aufgefunden. Seitdem spukten die Gärtnerstochter und die Gräfin in ihren weißen Totengewändern gemeinsam Hand in Hand durch das Schloss.
Während des Zweiten Weltkriegs war das Schloss ständig durch den Beschuss russischer Panzer bedroht. Die Grafenfamilie flüchtete unter abenteuerlichen Umständen nach Westfalen, wo sie bei befreundeten Adelsfamilien Unterschlupf fand. Nach dem Krieg war das Schloss notdürftig zum Krankenhaus umfunktioniert worden, bis es 1949 unter rätselhaften Umständen bis auf die Grundmauern abbrannte. Heute befindet sich genau an der Stelle von Schloss Blickensdorf ein Lidl-Parkplatz. Dort wollen Einheimische schon öfters um Mitternacht in der Nähe des Unterstands der Einkaufswagen zwei weißgekleidete Frauen gesehen haben...